Bei unserer ersten plastikfreien Wanderung hatte ich das Gefühl, dass ich kleidungstechnisch ganz gut ausgerüstet war. Ganz zufrieden war ich aber nicht, da ich im Endeffekt nur improvisiert habe.
Daher beschließe ich Profis zu fragen, welche Kleidung sie mir empfehlen können. Ich schreibe die Produktberatung von sechs bekannten Sport- und Outdoor-Händlern an und frage, ob sie mich plastikfrei einkleiden könnten. Von drei Händlern bekomme ich eine Antwort. Alle sagen mehr oder weniger entschuldigend, dass es nichts gibt außer Merinowolle-Unterwäsche. Ein Händler weißt noch darauf hin, dass es Produkte mit recycelten Kunststofffasern gibt. Irgendwie unbefriedigend, wenn es kaum Alternativen gibt.

Aber kneifen gilt nicht und die nächste Wanderung in der Plastikfastenzeit war schon ausgemacht. Es ist Mitte April, ein paar Tage vor dem Termin verheißt der Wetterbericht nichts Gutes. Bewölkt, max. 5 Grad. Wir gehen trotzdem, denn es soll trocken bleiben.
Als der Zug in Stuttgart losfährt, fallen ein paar Schneeflocken. Ich frage mich, wie die Wanderung ausgeht, welche Erfahrungen wir bei einer solchen Witterung machen werden, denn der Faserpelz ist ja zuhause geblieben.
Es sind noch drei Freunde mitgekommen und es war für alle eine besondere Herausforderung sich auf die winterlichen Temperaturen einzustellen. B ist wieder mit Tornister und Lederhose unterwegs, hat noch eine alte Kordjacke aus dem Keller gekramt und einen Kaschmir-Pullover. F hat zwei Wollpullis und einen Schurwolle-Wintermantel fürs Büro an. G als Extra-Accessoire Filzstulpen. Mangels solcher plastikfrei wärmenden Alternativen habe ich mich für das „Zwiebelprinzip extrem“ entscheiden müssen: sechs Lagen Kleidungsstücke aus Baumwolle, Merinowolle und Hanf, und zum Abschluss eine Jacke aus Baumwolle und 24% recyceltem Polyester. Damit fühle ich mich dann doch genug geschützt vor Wind, Regen und Schnee.

Turnbeutel und Tornister: plastikfreie Alternativen für die Wanderung

Im Bus werden wir wegen Bs Tornister angesprochen. Die Idee, ohne Kunststoff zu wandern, findet Anklang. Und als wir aus dem Bus aussteigen, fallen wieder ein paar Schneeflocken. Wir gehen los, vorbei an Kirche, Schloß und Höhle, die Alb hinauf.
Wir reden darüber, wie wir in Vorbereitung auf die Tour unsere Kleidung überprüft haben; wie schwierig es ist, selbst im Bio-Modeladen Jeans ohne Elastan zu bekommen; wie interessiert andere waren, wenn wir von der Idee erzählt haben; und dass die Glasflaschen halt doch schwerer sind.
Irgendwann lässt F das Wort „naturfrei“ fallen. Wir beschließen, dass es ein nützliches Wort ist, um Kleidung oder Ausrüstung zu benennen, die komplett aus Kunststoff gefertigt ist. Mein Rucksack habe ich ja zuhause gelassen, weil keine einzige Naturfaser darin verarbeitet ist.
Der schmale Wanderweg schlängelt sich mehrere Kilometer zwischen alten Bäumen direkt am Albtrauf entlang. Es ist diesig, die Drei-Kaiser-Berge sind unscharf zu erkennen.
Mein sechslagiges Zwiebelprinzip taugt. Den Faserpelz vermisse ich nicht, auch wenn es zwischendrin immer wieder ganz leicht schneit. Glücklicherweise ist es fast windstill. Als wir vor dem Abstieg ein Stück auf einem Feldweg laufen müssen, fährt eine Gruppe Mountainbikerinnen an uns vorbei – alle in naturfreien Kleidungsstücken. Kurz nachdem wir am Bahnhof ankommen, fängt es an zu regnen.

Der zweite Versuch plastikfrei zu wandern ist zuende. Zeit für ein Fazit:

Alte und neue Materialien
Es ist auffällig, dass wir beim Versuch plastikfrei zu wandern auf alte Gegenstände zurückgegriffen haben: den Tornister aus uralten Pfadfinder-Zeiten, den Stoffrucksack aus den 1970ern, die ausrangierte Bundeswehr-Hose. Da kann man schon grübeln, warum eigentlich die Entwicklung so streng in Richtung Kunstfaser ging. Na gut, eigentlich ist es offensichtlich: weniger Gewicht, bessere Luftdurchlässigkeit, etc. Aber sind die alten Materialien wirklich so viel schlechter? Gibt es keine neuen Materialien, die kein Mikroplastik produzieren? Immerhin eine Winterjacke gibt es eines schwedischen Herstellers, die komplett ohne Kunststoff auskommt. Und ein bekannter deutscher Wanderschuhhersteller verkauft ein Modell, dessen Sohle wenigstens industriell kompostierbar ist.

Über-Ausstattung
Alter Bergsteigerspruch: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Aber mal ehrlich, wer wandert bei länger anhaltendem Regen? Was spricht eigentlich dagegen, die Tour dem Wetter anzupassen? Die Wetter-Vorhersagen sind ja auf die Viertelstunde exakt geworden. Sind wir vielleicht über-ausgestattet und suggerieren uns die Hersteller und Händler, dass man jederzeit Kleidung und Ausrüstung braucht, mit der man auch einen 3000er besteigen könnte? Auch bei einer Tagestour auf der Schwäbischen Alb?

Minimalismus
Vor der Wanderung hatte ich erwartet, dass mir die dünnen Schnüre des Turnbeutels in die Schultern schneiden. War aber gar nicht so. Vielleicht weil ich aufgrund des kalten Wetters mehrlagig unterwegs war. Aber es scheint eine Lösung zu sein, möglichst wenig mitzunehmen. Eine Flasche Wasser, zwei Vesperbrote, fertig. Vielleicht führt der Komfort moderner Plastikrucksäcke auch nur dazu, dass mehr als nötig einpackt wird.

Jedenfalls ist es zwar möglich fast ganz ohne Plastik zu wandern, aber es ist ganz schön mühsam. Der Outdoor-Markt gibt wenig Alternativen her und ist sich dem Problem Mikroplastik offensichtlich nicht wirklich bewußt. Um das zu ändern, benötigt es mehr politischen Konsum, also mehr Nachfragen von Konsumenten zu echten Alternativen bei den Händlern und Herstellern, damit es eben nicht nur naturfreie Kleidung gibt. Denn im Gegensatz zum Plastikeinweggeschirr kann man Regenjacken schlecht gesetzlich verbieten.

One Comment

  1. F

    Hey D,
    lass uns noch einmal nach dem Baumwoll-Material Etaproof recherchieren. Das soll plastikfrei sein und ist (deshalb?) nicht im Outdoorladen zu bekommen. Vielleicht ist ja auch unter den Leser*innen jemanden, der/die damit Erfahrung hat…

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