Seit den 1970er Jahren vermitteln die Alpenvereine den Wanderern eindringlich, ihren Müll wieder ins Tal mitzunehmen und dort zu entsorgen. Und das wirkt.
In den Bergen wird ausführlich darüber aufgeklärt, wie lange welches Material braucht, bis es vollständig zersetzt ist: ein Zigarettenstummel 2-7 Jahre, eine Aludose 400-600 Jahre und eine Plastikflasche zwischen 100 und 5000 Jahren.
Die meisten Wanderer, die ich kenne, sind in irgendeiner Weise umweltbewußt, kennen die Konflikte zwischen Naturschutz und Tourismus, wissen vom Klimawandel und stehen dem vorherrschenden Konsumverhalten kritisch gegenüber. Doch im selben Zeitraum, in dem auf die Müllproblematik aufmerksam gemacht wurde, ist ein anderes Problem stark gewachsen oder wurde zumindest vernachlässigt. Zumindest scheint es so, dass Wanderer und Bergsteiger zwar den Müll wieder ins Tal tragen, aber dafür durch die Kunststoff-Kleidung ein anderes Problem beitragen. Dieses Problem heißt Mikroplastik.
So stellen sich mir immer wieder die Fragen: Inwiefern tragen also gerade die Menschen zu den Umweltproblemen bei, die eigentlich am liebsten in der Natur zuhause sind? Und was habe ich damit zu tun? Sollte das Thema Mikroplastik unter Wanderern und Naturliebhabern nicht stärker diskutiert werden? Wo sind eigentlich die Alternativen? Ist Fleece nicht auch aus Schafwolle?
Es ist also Zeit für einen Test: plastikfrei wandern.

Morgen gehe ich also mit Freunden wandern. Ich stehe vor meinem Kleiderschrank und versuche zum ersten Mal plastikfrei zu wandern. Als erstes hole ich die übliche Wanderkleidung aus dem Schrank. Schnell wird klar, dass ich das meiste davon nicht anziehen kann. Die Wanderhose ist zu 50% aus Polyester. Die Funktionsunterwäsche und die Socken sind aus Kunstfasern, der Fleece und die Regenjacke fallen sowieso weg. Über die Schuhe denke ich erstmal lieber nicht nach. Es sieht so aus, als wäre Nacktwandern die einzige Möglichkeit plastikfrei zu wandern.
Wickeln wir uns tatsächlich in soviel verschiedene Plastikkleidungsschichten ein?
Ich checke das Wetter: bewölkt, 11 Grad, Wind, morgens leichter Regen und später etwas sonnig. Na toll. Wir haben wie immer eine Tagestour auf der Schwäbischen Alb geplant. Also kein Spaziergang, sondern fast 20 Kilometer Strecke und einige hundert Höhenmeter. Meistens sind wir mehrere Kilometer von der nächsten Bushaltestelle oder Gaststätte entfernt.
Ich durchsuche meinen Kleiderschrank. Baumwollunterhose und Wollsocken von Oma sind die einfachste Alternative. Dann habe ich noch die Merinowolle-Shirts. Eigentlich habe ich mir die für’s Winterwandern zugelegt, aber für eine Tagestour im Frühling werden sie’s wohl auch tun. Das eine ist aus 100% Merinowolle, das andere ist 50-50. Ist dann also auch klar, welches Shirt mit raus darf. Baumwollpullis habe ich auch genug. Fehlt noch eine Hose. Ich finde Jeanshosen, Chinos und eine Jogginghose. Ganz hinten unten links finde ich eine alte Bundeswehrhose. Die muss schon über 30 Jahre alt sein und ich hatte sie zuletzt wahrscheinlich als Jugendlicher im Zeltlager an. Damit bin ich kleidungsmäßig schon ziemlich gut ausgestattet.
Bei den Schuhen wird’s aber schwierig. Alle haben in irgendeiner Form Plastik verarbeitet. Entweder eine Gore-Tex-Schicht oder Kunstfasergewebe. Eine plastikfreie Sohle gibt’s wahrscheinlich grundsätzlich nicht. Ich nehme also die Schuhe mit dem größten Anteil an echtem Leder. Ich erinnere mich, dass in der Sohle auch recyceltes Plastik verwendet wurde, und lasse es gelten. Lieber mit guten Schuhen und ein paar Gramm Plastik losziehen als Barfuß gehen.
Das nächste Problem ist der Rucksack. Mein üblicher Wanderrucksack ist 100% Plastik. Ich finde meinen alten Schulrucksack, aber der hat zu viel Kunststoffanteil. Noch mehr Kompromisse kann ich mir nicht leisten. Ich überlege, einen Jutebeutel zum Wandern zu nehmen. Lustige Vorstellung. Dann fällt mir ein, dass ich ja noch einen Turnbeutel habe. 100% Baumwolle und lockerer Hipster-Spruch drauf. Ich packe die Metalldose mit dem Vesperbrot, die Aluflasche mit Wasser und einen Apfel ein.
Ich checke nochmal den Wetterbericht: morgens leichter Nieselregen. Mit etwas Glück hat es aufgehört zu regnen bis ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln am Treffpunkt bin. Ich riskiere es und nehme keine Jacke mit. Aber: auf der Alb isch’s oin Kittel kälter. Also nehme ich noch einen zweiten Pulli mit. Man weiß ja nie.

Links: Wanderer mit viel weniger Plastik. Rechts: Wanderer mit etwas mehr Kunststoff

Als ich meinen Freunden erzählt hatte, dass ich versuchen möchte, plastikfrei zu wandern, haben Sie mitgemacht. So stehen wir also am Fuße der Schwäbischen Alb und begutachten, was aus dieser Idee geworden ist: F und S laufen in Jeans. F und G teilen sich einen Rucksack. J wandert mit Wollpulli und über 40 Jahre altem Stoffrucksack. B kommt in Lederhose und – Achtung! – einem noch älteren Tornister aus Leder, Stoff und Kuhfell. Es wird der Star der Wanderung.

Wir gehen los. Der Regen hat gerade aufgehört. Glück gehabt. Allerdings ist es bewölkt und kühl. Beim Aufstieg wird mir warm, aber oben bläst der Wind derart, dass ich leicht fröstele.
Wir gehen weiter durch den Wald, immer wenn wir an eine Lichtung oder einen Aussichtspunkt kommen, wird’s frisch, weil der Wind durch die oberen Schichten Baumwollkleidung bläst. Für kurze Momente wünsche ich mir einen Faserpelz oder eine winddichte Regenjacke. Dann kommt die Sonne zwischen den Wolken durch und es ist warm genug.
Wir machen Pause. Als ich die Flasche aus dem Turnbeutel nehme und aufschraube, merke ich, dass der Schraubverschluss aus Plastik ist. Nächstes Mal muss ich aufmerksamer sein! Vor allem weil die andere Flasche im Küchenschrank eine Edelstahlflasche ohne Plastik ist, glaube ich. Beim Verpacken unseres Vespers hatten wir aber offensichtlich am wenigsten Probleme auf Plastik zu verzichten. Dafür hat niemand Schokolade dabei! Weil man die eigentlich nur in Plastikverpackung kaufen kann. Eine Wanderung ohne Schokolade, das gab’s auch noch nie.

Auf den nächsten Kilometern genießen wir tolle Aussichten auf die Drei Kaiser-Berge und ins Remstal. Es wird ein paar Grad wärmer, aber der Wind pfeift an manchen Stellen so sehr, dass ich gerne einen dritten Pulli angezogen hätte. Nach sechs Stunden Wanderung merke ich wie Omas Wollsocken an manchen Stellen unangenehm drücken, aber dafür bestaunen wir die letzte Aussicht vor dem Sonnenuntergang. Wir verabreden uns für die nächste plastikfreie Wanderung in vier Wochen. Bei jedem Wetter.

2 Comments

  1. Sehr schöner Versuch, sollte in die Rubrik “plastikfrei leben” aufgenommen werden dieser Text … und wieder einmal wird klar, was wir ohne Kunststoff machen würden, nämlich nicht viel … von dem her fände ich es gut, wenn alle eine gewissen Grad an Kunststoff haben sollten ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen … hoffe, ich bin auch mal dabei, wenn ihr eure Tour fortsetzt!

  2. Pingback: Plastikfrei wandern – Teil 2 – WIR FASTEN PLASTIK.

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